III Dokmentation und Datensätze

Staatenwelten

Deutsches Reich (1871-1914)

 

Gebiet

Das am 18. Januar 1871 mit der Kaiserproklamation in Versailles begründete Deutsche Reich ist ein Bundesstaat und liegt in Mitteleuropa. Es grenzt im Norden an Dänemark sowie an die Nord- und Ostsee. Im Osten liegt das Kaiserreich Russland. Die südliche Grenze bilden Österreich-Ungarn und die Schweiz und im Westen befinden sich Frankreich, das Großherzogtum Luxemburg, das preußisch-belgische Kondominat Neutral-Moresnet sowie Belgien und die Niederlande.
1871 hat die Staatengemeinschaft 25 Gründungsmitglieder: Die Königreiche Preußen, Bayern, Württemberg und Sachsen, die Großherzogtümer Baden, Hessen-Darmstadt, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg und Sachsen-Weimar-Eisenach, die Herzogtümer Sachsen-Coburg und Gotha, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Braunschweig und Anhalt, die Fürstentümer Reuß ältere Linie (Reuß-Greiz), Reuß jüngere Linie, Waldeck, Schwarzburg-Sondershausen, Schwarzburg-Rudolstadt, Lippe-Detmold und Schaumburg-Lippe sowie die Freien Städte Lübeck, Bremen und Hamburg. Hinzu kommt das immediate Reichsland Elsaß-Lothringen.
Hauptstadt, Residenz und Regierungssitz ist Berlin.

 

Geographie/Topographie

Für das Deutsche Reich wird 1871 eine Fläche von 9.820 Quadratmeilen angegeben. Der GIS-Wert beträgt 540.179km².Das Gebiet des Deutschen Reichs erstreckt sich von der Nord- und Ostsee im Norden aus über die Norddeutsche Tiefebene und die Gebirge Sudeten, Thüringer Wald, Harz, Rheinisches Schiefergebirge, Vogelsberg, Taunus und Rothaargebirge sowie Rhön, Vogesen, Schwarzwald und Schwäbische Alb bis zu den Alpen als südliche Grenze.
Der nördlichste Gebietsteil liegt in der Nähe des Dorfes Nimmersatt nördlich von Memel im preußischen Regierungsbezirk Königsberg, der südlichste in den Algäuer Alpen am Ursprung der Stillach, eines Quellflusses der Iller im bayerischen Landkreis Schwaben. Westlichster Punkt ist das Dorf Isenbruch im preußischen Regierungsbezirk Aachen, östlichster das Dorf Schilleningken im preußischen Regierungsbezirk Gumbinnen. Höchste Erhebung ist die in den Bayerischen Alpen gelegene Zugspitze mit 2.964m Höhe.
Die größte Insel des Deutschen Reichs ist das preußische Rügen. Die wichtigsten Flüsse sind Ems, Weser, Elbe, Oder, Weichsel und Memel im nördlichen Teil sowie Rhein, Mosel, Main, Donau und Neckar im Süden. Das Klima ist insgesamt gemäßigt, in den Nord- und Ostseegebieten feucht und veränderlich und in den Gebirgsgegenden sehr rau.

 

Vorgeschichte

Der erste Versuch zur Gründung eines Deutschen Reichs während der Revolution von 1848/49 scheiterte am preußischen König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861), der die am 3. April 1849 von der Frankfurter Nationalversammlung unter Führung des Präsidenten Eduard von Simson (1810-1899) angebotene Kaiserkrone ebenso ablehnte wie die Reichsverfassung. So blieb es bis 1866 bei der lockeren Verbindung des Deutschen Bundes und ab 1867 bei der Interimslösung eines Norddeutschen Bundes ohne Österreich, dem die süddeutschen Staaten Hessen-Darmstadt, Baden, Württemberg und Bayern durch den Deutschen Zollverein und geheime militärische "Schutz- und Trutzbündnisse" verbunden waren.
Infolge der französischen Kriegserklärung vom 19. Juli 1870 traten die süddeutschen Armeen mit den preußisch-norddeutschen Kontingenten unter preußischen Oberbefehl. Nach den ersten militärischen Erfolgen kam es im September 1870 in München zu Besprechungen zwischen Vertretern des Norddeutschen Bundes und den süddeutschen Staaten über die politische Einigung der deutschen Staaten. Diese wurden im Hauptquartier in Versailles fortgesetzt und führten am 15. November 1870 zu einer vertraglichen Einigung mit Baden und Hessen-Darmstadt über die Gründung des Deutschen Bundes - so die ursprünglich vorgesehene Bezeichnung des Deutschen Reichs. Unter Gewährung zahlreicher Sonderrechte traten die Königreiche Bayern und Württemberg am 23. bzw. 25. November 1870 dem Bündnis bei.
Auf der Grundlage dieser "Novemberverträge" wurde am 10. Dezember 1870 vom Reichstag eine erweiterte Verfassung des Norddeutschen Bundes beschlossen, die am 1. Januar 1871 in Kraft trat. Eduard Simson führte als Reichstagspräsident erneut die Deputation an, die am 18. Dezember 1870 König Wilhelm I. von Preußen (1797-1888) die Kaiserwürde anbot. Durch den Akt der Proklamation am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles erfolgte der nach außen hin sichtbare Abschluss des Einigungswerks. Nach der Kaiserproklamation und der ersten Reichstagswahl am 3. März 1871 ersetzte schließlich die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871 die vorläufigen Verfassungsverträge. Die Bezeichnung des bisherigen Bundespräsidenten lautete nun "Deutscher Kaiser", der Bundesstaat insgesamt führte den Namen "Deutsches Reich".

 

Aufbau und Struktur

Das Deutsche Reich ist ein Bundesstaat. Die am 16. April 1871 verabschiedete Verfassung des Deutschen Reichs gleicht inhaltlich weitgehend der Verfassung des Norddeutschen Bundes und verbindet föderative mit zentralistischen Elementen.
Gemeinsames Organ der Mitgliedstaaten ist der Bundesrat, in dem insgesamt 58 Vertreter der Fürsten und Freien Städte zusammenkommen. Die Stimmverteilung bemisst sich nach der Flächengröße des jeweiligen Landes, nicht nach der Bevölkerungszahl. Preußen verfügt mit 17 Stimmen lediglich über eine Sperrminorität bei Verfassungsänderungen und Militärangelegenheiten. Bayern hat sechs Stimmen, Sachsen und Württemberg je vier, Baden und Hessen-Darmstadt je drei, Mecklenburg-Schwerin und Braunschweig je zwei und die übrigen Staaten je eine Stimme. 1911 kommen drei Stimmen für das Reichsland Elsaß-Lothringen hinzu.
Die Gesetzgebung übt der Bundesrat gemeinsam mit dem Reichstag aus. Die zunächst 382 Reichstagsabgeordneten werden durch allgemeine, direkte, geheime und gleiche Wahlen bestimmt. Wahlberechtigt sind alle Männer über 25 Jahre, mit Ausnahme von Empfängern öffentlicher Armenunterstützung und Soldaten während des Wehrdienstes. 1873 wird die Zahl der Abgeordneten durch die Einbeziehung der 15 Wahlkreise aus Elsaß-Lothringen auf 397 erhöht.
Das Präsidium des Bundes steht dem König von Preußen zu, der den Titel "Deutscher Kaiser" führt und das Deutsche Reich völkerrechtlich vertritt. Er hat das Recht zur Einberufung, Eröffnung, Vertagung und Schließung des Reichstags und ernennt den Reichskanzler, der in der Regel auch preußischer Ministerpräsident ist und als Verantwortlicher der Staatsgeschäfte den Vorsitz im Bundesrat führt. Reichskanzler und Reichsbeamte sind ausschließlich dem Kaiser verpflichtet.
Als Träger der Verwaltung führen die Einzelstaaten die Reichsgesetzgebung behördlich aus. Sie haben dabei weitreichende Kompetenzen im Justiz- und Schulwesen und verfügen über eigene Steuereinnahmen.
Ein Grundrechtekatalog, wie er noch bei der Frankfurter Reichsverfassung von 1849 vorangestellt war, ist nicht mehr Bestandteil der Verfassung des Deutschen Reichs. Bis zum Ersten Weltkrieg bleibt die Verfassung in ihrer Grundstruktur erhalten.

 

Mitgliedschaft

Das Deutsche Reich umfasst alle Länder des ehemaligen Deutschen Bundes, mit Ausnahme von Österreich, Luxemburg, Limburg und Liechtenstein und zuzüglich der preußischen Provinzen Ostpreußen, Westpreußen und Posen sowie Schleswigs.
1871 hat das Deutsche Reich 25 Mitgliedstaaten. Dies sind die Königreiche Preußen, Bayern, Württemberg und Sachsen, die Großherzogtümer Baden, Hessen-Darmstadt, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg und Sachsen-Weimar-Eisenach, die Herzogtümer Sachsen-Coburg und Gotha, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Braunschweig und Anhalt, die Fürstentümer Reuß ältere Linie (Reuß-Greiz), Reuß jüngere Linie, Waldeck, Schwarzburg-Sondershausen, Schwarzburg-Rudolstadt, Lippe-Detmold und Schaumburg-Lippe sowie die Freien Städte Lübeck, Bremen und Hamburg.
Nach dem deutsch-französischen Friedensschluss in Frankfurt am Main vom 10. Mai 1871 kommen das Elsaß und Teile Lothringens in den Reichsverband. Als " Reichsland Elsaß-Lothringen" steht es unter unmittelbarer Reichsverwaltung. Infolge des deutsch-britischen Vertrages über Sansibar vom 15. Dezember 1890 fällt die Nordseeinsel Helgoland an das Deutsche Reich. Im Jahre 1903 verzichtet Schweden endgültig auf die seit 1803 verpfändete Stadt Wismar in Mecklenburg-Schwerin.
Als Kolonien kommen 1884 Deutsch-Südwestafrika, Togo und Kamerun, 1885 Deutsch-Ostafrika, Neuguinea und die Marshall-Inseln, 1898 Kiautschou, 1899 die Karolinen, Palau und die Marianen-Inseln sowie die Samoa-Inseln hinzu.

 

Militärorganisation

Oberbefehlshaber der Armee des Deutschen Reichs ist der Kaiser, dem auch das Recht zusteht, Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, wozu er der Zustimmung des Bundesrats nicht aber der des Reichstags bedarf. Die zuvor einzelstaatlichen Heere werden im Reichsheer zusammengeführt und dem Befehl des Kaisers unterstellt. Schon vor der Reichsgründung hatten die meisten nichtpreußischen Staaten gemäß jeweils einzeln geschlossener Militärkonventionen auf eigene Kontingente verzichtet und ihre Truppen dem preußischen Kontingent eingefügt. Nur Bayern, Sachsen und Württemberg behalten Kraft der mit ihnen geschlossenen Militärkonventionen ihre selbständigen Kontingente. Im Rahmen seiner Kommandogewalt entscheidet der Kaiser allein, auch nicht durch Gegenzeichnung durch seinen Kanzler, über die militärische Planung, Stellenbesetzung, Organisation, Ausbildung, Disziplin, Mobilisierung sowie den Einsatz des deutschen Heeres und der Marine. Darüber hinaus haben zahlreiche Offiziere im Generals- und Admiralsrang eine "Immediatstellung" gegenüber dem Kaiser inne, wodurch sie befugt sind, ihm unmittelbar Vortrag zu halten und kaiserliche Entscheidungen einzuholen, ohne dass irgendeine zivile Stelle eingeschaltet oder informiert werden muss.
Damit sind entscheidende Teile des Militärwesens der parlamentarischen Kontrolle vollständig entzogen. Lediglich durch die eingeschränkte Zustimmungspflicht zum Wehretat sowie in Fragen der Militärverwaltung, die einer gesetzlichen Regelung bedürfen, kann der Reichstag seinen Einfluss geltend machen.
Die Militärausgaben, die immerhin vier Fünftel der Reichsausgaben betragen, sind vom Haushalt ausgenommen und werden für eine festgesetzte Heeresgröße zunächst für sieben und ab 1881 für fünf Jahre bewilligt.
Die Reichsverfassung schreibt die allgemeine Wehrpflicht für Männer mit einer dreijährigen aktiven Dienstzeit fest. 1893 wird die aktive Wehrdienstzeit für Fußtruppen auf zwei Jahre verkürzt. Junge Männer mit höherer Schulbildung und guter finanzieller Ausstattung haben die Möglichkeit, ihren Wehrdienst als so genannte Einjährig-Freiwillige verkürzt auf ein Jahr abzuleisten. Ein Recht auf Wehrdienstverweigerung existiert nicht.

 

Bevölkerung

Für das Deutsche Reich wird 1871 eine Bevölkerungszahl von 41.028.150 angegeben. Bis 1910 hat sich die Zahl um 59% auf 64.926.000 gesteigert.
1871 wohnen noch 63,9% der Bevölkerung in Gemeinden mit einer Einwohnerzahl von unter 2.000, bis 1910 ist der Anteil auf 40% gesunken.
1871 liegt die Einwohnerzahl der Hauptstadt Berlin bei 826.341. Bis 1910 hat sich die Einwohnerzahl auf 2.071.257 fast verdreifacht.
Hinsichtlich der Konfession leben 1871 im Deutschen Reich 62% Personen evangelischer, 36% katholischer und 1% jüdischer Glaubensrichtung. Bis 1910 hat sich diese Zusammensetzung kaum verändert.

 

Territoriale Entwicklung ab 1914/Kulturerbe

Nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg wird der Deutsche Kaiser im Zuge der Novemberrevolution von 1918 zur Abdankung gezwungen und am 9. November 1918 die Republik ausgerufen. Mit der Weimarer Verfassung von 1919 erhält das Deutsche Reich eine demokratisch-republikanische Staatsform. Durch die Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages vom 28. Juni 1919 muss das Deutsche Reich erhebliche Gebietsverluste hinnehmen: Das Reichsland Elsaß-Lothringen wird an Frankreich abgetreten. Eupen-Malmedy sowie Neutral-Moresnet gehen an Belgien. Die preußischen Provinzen Posen und Westpreußen sowie Teile Schlesiens und Ostpreußens gehen in das Staatsgebiet des wiedergegründeten Polen über. Danzig wird als Freie Stadt dem Völkerbund unterstellt. Nordschleswig fällt an Dänemark, das Hultschiner Ländchen wird der neugegründeten Tschechoslowakei und das Saargebiet Frankreich angegliedert. Zudem muss das Deutsche Reich auf sämtliche Kolonialgebiete verzichten. Nach Ende des NS-Regimes und der deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg 1945 reduziert sich das Territorium um die preußischen Provinzen Ostpreußen und Schlesien sowie Teile Pommerns und Brandenburgs. In der sowjetischen Besatzungszone werden die fünf Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gebildet, in den westlichen Besatzungszonen Württemberg-Baden, Baden und Württemberg-Hohenzollern (ab 1952 Baden-Württemberg), Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sowie die Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin. 1957 kommt das Saarland hinzu. Nach vierjähriger Besatzungszeit unter alliierter Kontrolle entstehen mit der Bundesrepublik Deutschland in den westlichen Besatzungszonen und der Deutschen Demokratischen Republik in der sowjetischen Besatzungszone zwei deutsche Staaten die erst 1990 wiedervereinigt werden. In der DDR widmet sich seit 1949 das "Museum für Deutsche Geschichte" (MfDG) im Berliner Zeughaus Unter den Linden der deutschen Geschichte. Die Bundesrepublik entscheidet sich erst 1987 für die Gründung eines "Deutschen Historischen Museums", das nach der Wiedervereinigung die Sammlungen des MfDG übernimmt und seinen Einzug ins Zeughaus hält. Seit 1999 hat der Deutsche Bundestag seinen Sitz im ehemaligen Reichstagsgebäude.

 

Verwendete Literatur