III Dokmentation und Datensätze

Staaten

Lippe-Detmold (1820-1914)

 

Staatsgebiet

Das Fürstentum Lippe, nach der Residenz der regierenden Linie auch Lippe-Detmold genannt, befindet sich in Nordwestdeutschland. Mit Ausnahme der drei in der preußischen Provinz Westfalen gelegenen Exklaven Kempen-Grevenhagen, Cappel und Lipperode bildet es ein zusammenhängendes Staatsgebiet. Das Kondominat Lippstadt wird von Preußen und Lippe-Detmold gemeinsam verwaltet. Das Fürstentum grenzt im Norden, Westen und Süden an die preußische Provinz Westfalen. Östlich grenzt es an die preußische Exklave bei Pyrmont, die zum Fürstentum Waldeck gehörende Grafschaft Pyrmont und das Königreich Hannover. Nordöstlich liegt die zu Hessen-Kassel gehörende Grafschaft Schaumburg. Hauptstadt, Residenz und Regierungssitz ist Detmold. Weitere Residenzen befinden sich in Schieder, Brake bei Lemgo und Sternberg, ein Jagdschloss in Lopshorn.

 

Geographie/Topographie

Für das Fürstentum Lippe wird 1843 eine Fläche von 20 Quadratmeilen angegeben. Der GIS-Wert beträgt 1.244km².Das Fürstentum besteht zum Großteil aus reichbewaldetem Berg- und Hügelland. Ebenen finden sich nur im Nordwesten und Südwesten des Landes. Die ganze Südwestgrenze wird vom Teutoburger Wald eingefasst, dessen höchste Erhebung der 468m hohe Völmerstod ist. Im Südosten des Landes erreicht der Köterberg im Weserbergland eine Höhe von 502m. Noch um 1900 ist rund ein Drittel des Bodens bewaldet. Mineralbäder befinden sich in Meinberg und Salzuflen. An Flüssen berührt die Lippe nur die Exklave Lipperode und die Weser nur die nördliche Spitze des Landes. In die Weser fließen die Werre, Exter und Kalle, die im Land entspringen. Die Emmer durchströmt den südöstlichen Teil Lippe-Detmolds. Das Klima ist gesund und verhältnismäßig mild.

 

Geschichte bis 1815/20

Das Fürstentum Lippe führt seinen Namen auf ein seit dem 10. Jahrhundert bekanntes westfälisches Adelsgeschlecht zurück, das sich nach dem gleichnamigen Fluss "Edle Herren zu Lippe" nannte. Seit dem 12. Jahrhundert hatten sie die Vogtei über Kloster Geseke und die Grafschaftsrechte über Havergau, Limgau, Thiakmelli (Detmold) und Aagau inne. Im 14. Jahrhundert kamen ein Großteil der Grafschaft Schwalenberg, Varenholz sowie die Grafschaft Sternberg mit Salzuflen hinzu. Die um 1184/85 gegründete Lippstadt wurde seit 1445 gemeinsam mit Kleve-Mark verwaltet. 1614 gingen diese Rechte an Brandenburg und damit an das spätere Preußen über. 1528/29 erhielten die zum niederrheinisch-westfälischen Reichskreis gehörenden Edelherren den Reichsgrafenstand.
Im Jahre 1614 entstanden durch Erbteilung die Linien Lippe-Detmold, Lippe-Brake und Lippe-Alverdissen, das 1640 einen Teil der Grafschaft Schaumburg erlangte und die Grafschaft Schaumburg-Lippe begründete. Zu Lippe-Detmold mit der Hauptstadt Detmold zählten neben dem lippischen Stammland die Gebiete Sternberg, Enger, Sassenberg, Aholz, Schwalenberg, Stoppelberg, Oldenburg, Varenholz, Falkenberg und das Kondominat Lippstadt. 1671 spaltete sich von Lippe-Detmold die Linie Lippe-Biesterfeld ab. 1709 beerbte Lippe-Detmold die Linie Lippe-Brake. 1789 erlangte die Erhebung zum Fürstentum volle Gültigkeit. Im Jahre 1807 trat Lippe-Detmold dem Rheinbund bei.

 

Staats- und Regierungsform, Herrscherhaus

Das Fürstentum Lippe ist eine Monarchie. Die regierenden Fürsten stammen aus der Linie Lippe-Detmold des Hauses Lippe. Von 1802 bis 1820 führt Fürstin Pauline, geb. von Anhalt-Bernburg (1769-1820), Witwe Leopold I. von Lippe-Detmold (1767-1802), die Regierungsgeschäfte für ihren unmündigen Sohn Leopold II. (reg. (1802) 1820-1851). Auf Leopold II. folgen dessen Söhne Leopold III. (reg. 1851-1875), Woldemar (reg. 1875-1895) und Alexander (reg. 1895-1905). Da letzterer wegen Geisteskrankheit regierungsunfähig ist, übernimmt zunächst Adolf Prinz zu Schaumburg-Lippe (Regent 1895-1897) und dann Ernst Graf zu Lippe-Biesterfeld (Regent 1897-1904) die Regentschaft. Nach erfolgreicher Durchsetzung der Erbfolge der Linie Lippe-Biesterfeld gegen Schaumburg-Lippe durch ein Schiedsgericht übernimmt 1905 Leopold IV. (Regent 1904-1905, regierender Fürst 1905-1918) die Herrschaft über das Fürstentum.
Fürstin Pauline setzt 1808 die Bauernbefreiung durch. Unterstützt durch die Bauern, die im Jahre 1817 mit Heinrich Philipp Ottomeyers (1771-1833) "Aufruf an meines Vatterlands Bauern" die ländliche Vertretung im Landtag einfordern, bemüht sich Pauline um die Einführung einer landständischen Verfassung, welche die alten Stände von Ritterschaft und Städten durch Vertreter aller Landeseinwohner ersetzen soll. Die 1819 von Pauline verkündete Verfassung scheitert aber an den alten Ständen und der Reaktion im Deutschen Bund. Eine erste schriftlich fixierte landständische Verfassung wird daher erst 1836 in Lippe-Detmold eingeführt. Die Landstände bestehen nun aus Abgeordneten der drei Stände der Ritterschaft, Städtebewohner und der "erblichen Gutsbesitzer des Platten Landes, soweit sie nicht zum ersten Stande gehören". Die Ritterschaft wählt sieben Abgeordnete, fünf adlige und zwei bürgerliche, welche eine eigene Kurie bilden. Stadt- und Landbewohner wählen durch Wahlmänner je sieben Abgeordnete in eine gemeinsame Kurie. Diese Verfassung, welche die alten Rechte der Landstände im Wesentlichen bestätigt, wird zwar im Zuge der Revolution von 1848/49 liberalisiert, aber 1853 durch Leopold III. gegen den Willen des Landtags wieder restauriert. Per Gesetz vom 8. Dezember 1867 erhalten die Landstände schließlich das Mitwirkungsrecht bei der Gesetzgebung. 1876 wird das Dreiklassenwahlrecht eingeführt.

 

Territoriale Aufteilung/Verwaltungsstruktur

Das Fürstentum Lippe verfügt 1820 nicht über Mittelbehörden. Um 1820/23 bestehen zwölf Ämter, benannt in der Regel nach ihrem Sitz: Detmold mit der Vogtei Falkenberg, Lage mit Heiden, Oerlingshausen, Schötmar, Varenholz mit den Vogteien Langenholzhausen und Hohenhausen, Sternberg-Barntrup mit Sitz in Alverdissen, Brake, Blomberg, Schieder, Schwalenberg, Horn mit der Vogtei Schlangen und Lipperode. Mit der Teilung des Amtes Varenholz 1851 kommt als dreizehntes Amt Hohenhausen hinzu. 1879 werden Justiz und Verwaltung getrennt und fünf Verwaltungsämter geschaffen, die jeweils nach ihrem Sitz benannt sind: Schötmar besteht aus den ehemaligen Ämtern Schötmar und Oerlinghausen, Detmold setzt sich zusammen aus den Ämtern Detmold, Lage und Horn sowie dem zuvor Freiherr von Blombergischen Amt Iggenhausen. Zum Verwaltungsamt Brake werden die Ämter Brake, Hohenhausen, Varenholz und Sternberg-Bartrup zusammengefasst. Zu Blomberg gehören nun die vormaligen Ämter Blomberg, Schieder und Schwalenberg und zu Lipperode das Amt Lipperode und das Stift Cappel.
Mit dem Preußisch-Lippischen Staatsvertrag vom 24.März 1851 gehen die Hoheits- und Regierungsrechte des Fürsten zu Lippe als Mitregent des Kondominats Lippstadt gegen Zahlung einer jährlichen Rente an den König von Preußen über. Gemeinsam mit dem Herzogtum Braunschweig und den Fürstentümern Schaumburg-Lippe und Waldeck ist die Lippe-Detmolder Justiz seit 1817 dem Ober-Appellationsgericht in Wolfenbüttel unterstellt. 1857 schließt sich Lippe-Detmold dem Hannoverschen Ober-Appellationsgericht in Celle an.

 

Bevölkerung

Im Jahre 1816 hat das Fürstentum Lippe nach amtlicher Zählung 80.728 Einwohner. Bis 1852 nimmt die Einwohnerzahl um 32% auf 106.615 zu. Bis 1900 steigt sie um weitere 30% auf 138.952 an. Im Jahre 1852 leben 16% der Einwohner in Städten, 1890 sind es bereits 25%. 1860 zählt die Hauptstadt Detmold 6.200 Einwohner, im Jahr 1900 hat sich die Einwohnerzahl auf 11.968 verdoppelt. Der überwiegende Teil der lippischen Bevölkerung gehört der reformierten Glaubensrichtung an. Lutheraner finden sich vornehmlich in den Städten Lippstadt und Lemgo, Katholiken im Amt Schwalenberg. 1858 machen Reformierte und Lutheraner zusammen fast 97% der Bevölkerung aus. Zudem werden 2% Katholiken und 1% Juden angegeben. Im Jahre 1900 hat sich die religiöse Zusammensetzung der Bevölkerung nur unwesentlich verändert.

 

Wirtschaft

Bodennutzung und Landwirtschaft

Haupterwerbszweig im Fürstentum Lippe ist die Landwirtschaft. Geerntet werden vornehmlich Roggen, Hafer, Weizen und Kartoffeln. Das Fürstentum gehört zu den holzreichsten Gebieten Deutschlands. Um 1900 umfassen die Forste 33.488 Hektar. Sie bestehen meist aus Hochwald, wobei Laubholz, vornehmlich Buchen, rund 78% der Forstfläche ausmacht. In der Viehzucht ist insbesondere die Rinder- und Schweinezucht von Bedeutung. Der Viehbestand beläuft sich Ende 1900 auf 9.485 Pferde, 38.296 Rinder, 16.306 Schafe, 86.237 Schweine und 36.406 Ziegen.

Bergbau

Lippe-Detmold hat keine Bergwerke. Die Saline in Salzuflen liefert große Mengen Salz; allein im Jahre 1903 produziert sie 10.144dz.

Gewerbe und Industrie

Das Fürstentum Lippe ist im 19. Jahrhundert kaum industrialisiert. Im ersten Drittel des Jahrhunderts bestehen zwei Glashütten und mehrere Öl-, Säge- und Papiermühlen. Um 1900 sind von überregionaler Bedeutung die Stärkefabrik "Hoffmann u. Komp." und die Fabrikation von Meerschaumpfeifenköpfen in Lemgo. Zudem gibt es eine Papierfabrik in Dalbke, mehrere Papiermühlen, Tabak- und Zigarrenfabriken, Bierbrauereien, Webereien, Öl- und Sägemühlen, Ziegeleien und eine Zuckerfabrik.

Handel

Lippe-Detmold produziert vornehmlich für den Eigenbedarf, eine eigentliche Handelsstadt existiert nicht. Ausgeführt werden Holz, Sandsteine, weißer Sand, Garn, Leinwand, Getreide, Schlachtvieh, Wolle sowie Pferde des berühmten Sennergestüts beim Jagdschloss Lopshorn.

Währung, Maße, Gewichte

Als Währungseinheit besteht bis Ende 1846 der Taler zu 36 Mariengroschen à 6 Pfennig. Von 1847 bis zur Einführung der Reichswährung 1873 wird nach Talern zu 30 Silbergroschen à 12 Pfennig gerechnet. Als Längenmaß besteht der Fuß und als Flächenmaß der Morgen. Handelsgewicht ist der Zentner und ab 1858 das Zollpfund

 

Verkehr

Eisenbahnen

Um 1900 durchqueren zwei Eisenbahnlinien der preußischen Staatsbahn das Land. Die Strecke Herford-Altenbeken verbindet die lippischen Städte Salzuflen, Lage, Detmold und Horn-Meinberg. Die Linie Bielefeld-Hameln macht Station in Lage, Lemgo und Barntrup.

Wasserstraßen

An schiffbaren Wasserstraßen berührt nur die Weser die nördliche Landesgrenze. 1850 befördert sie Schiffe mit einer Tragfähigkeit von bis zu 200t, 1874 bis zu 400t und 1903 bis zu 600t.

See- und Binnenhäfen

In Erder an der Weser besteht eine Zollstation.

 

Kultur und Bildung

Die oberste Schulbehörde ist das Konsistorium zu Detmold. Um 1900 bestehen im Fürstentum Lippe zwei staatliche Gymnasien in Detmold und Lemgo, eine städtische Realschule in Salzuflen, eine städtische Knabenmittelschule in Lage sowie 126 Elementarschulen mit über 250 Lehrern, elf katholische und zehn israelitische Schulen. In der Hauptstadt Detmold befindet sich ein Hof- und Sommertheater. 1857 bis 1859 lebt Johannes Brahms (1833-1897) in Detmold und leitet neben seiner kompositorischen Arbeit einen Chor. Nach eigenen Plänen beginnt der Bildhauer Ernst von Bandel (1800-1876) 1838 mit der Errichtung des Hermannsdenkmals auf dem 386m hohen Teutberg im Teutoburger Wald. Der 1842 zunächst ins Stocken geratene Bau wird 1871 aus Reichsmitteln weiterfinanziert und kann am 16. August 1875 in Anwesenheit Kaiser Wilhelms I. eingeweiht werden. Das sich rasch zur Touristenattraktion entwickelnde Nationaldenkmal erinnert an den Cheruskerfürsten Arminius (eingedeutscht Hermann), der im Jahre 9 den römischen Legionen unter Varus im Teutoburger Wald eine entscheidende Niederlage beigebracht haben soll. Das Schwert Hermanns trägt die Inschrift "Deutschlands Einigkeit meine Stärke - meine Stärke Deutschlands Macht" und steht für die 1871 erreichte nationale Einheit Deutschlands.

 

Zugehörigkeit zu Staatengemeinschaften, Zollsystemen und Zollvereinen

Bei den Verhandlungen zur Gründung des Deutschen Bundes auf dem Wiener Kongress wird Lippe-Detmold von Regierungsrat Friedrich Wilhelm Helwing (1758-1833) vertreten. 1815 tritt das Fürstentum dem Deutschen Bund bei. Im Plenum der Bundesversammlung (Bundestag) führt es eine eigene Stimme. Im "Engeren Rat" teilt es sich dagegen eine Stimme mit den Fürstentümern Hohenzollern-Hechingen, Hohenzollern-Sigmaringen, Reuß-Greiz, Reuß-Schleiz, Reuß-Ebersdorf, Reuß-Lobenstein, Schaumburg-Lippe, Waldeck und ab 1842 Hessen-Homburg.1826 tritt das Fürstentum Lippe für die Exklaven Cappel, Lipperode und Kempen-Grevenhagen dem preußischen Zollsystem und damit auch 1828 dem Preußisch-Hessischen Zollverein sowie 1834 dem Deutschen Zollverein bei. 1841 wird das gesamte Fürstentum Mitgliedsstaat des Zollvereins. 1867 tritt Lippe-Detmold dem Norddeutschen Bund bei und bildet 1871 einen Bundesstaat des Deutschen Reichs. Im Bundesrat verfügt das Fürstentum über eine Stimme und entsendet einen Abgeordneten in den Reichstag.

 

Territoriale Entwicklung ab 1914/Kulturerbe

Am 12. November 1918 dankt Fürst Leopold IV. (1871-1949) ab. Am 21. Dezember 1920 erhält Lippe eine demokratische Verfassung, wird aber zur Zeit des Nationalsozialismus 1933 bis 1945 dem Gauleiter von Westfalen-Nord unterstellt. 1947 teilt die britische Besatzungsmacht den Freistaat Lippe dem aus der preußischen Provinz Westfalen und dem nördlichen Teil der preußischen Rheinprovinz neu gebildeten Land Nordrhein-Westfalen zu.
Heute ist Lippe ein Kreis des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen mit einer Gesamtfläche von 1.246km² und 363.161 Einwohnern im Jahre 2004. Hauptstadt des Landkreises ist Detmold. In dem 1949 eingerichteten Landesverband Lippe ist bis heute ein Rest lippischer Eigenstaatlichkeit erhalten geblieben. Der Landesverband finanziert sich aus der Verwaltung des ehemaligen fürstlichen Vermögens, das ihm als Sondervermögen übertragen worden ist. Unter dem Dach des Landesverbands finden sich wissenschaftlich-kulturelle Einrichtungen wie die Lippische Landesbibliothek und das Lippische Landesmuseum in Detmold, das Institut für Lippische Landeskunde in Lemgo und das Weserrenaissance Museum auf Schloss Brake. Aber auch das Naturschutzgebiet Externsteine, die Heilbäder Bad Salzuflen und Meinberg oder das Weserfreizeitzentrum Kalletal-Varenholz gehören dazu.
Obgleich die Forschung den Ort der Varusschlacht inzwischen in Kalkriese bei Bramsche identifiziert hat, erfreut sich das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald als Ausflugsziel nach wie vor großer Beliebtheit.

 

Verwendete Literatur