III Dokumentation und Datensätze

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Provinz Hannover (1866-1914)

 

Gebiet

Die preußische Provinz Hannover wird 1867 aus dem 1866 von Preußen annektierten ehemaligen Königreich Hannover gebildet. Die Provinz Hannover befindet sich in Norddeutschland und besteht aus drei teilweise getrennt voneinander liegenden Landesteilen. Im Norden grenzt sie an die Nordsee, das Großherzogtum Oldenburg und die Freie Hansestadt Bremen, im Nordosten an die jenseits der Elbe gelegene preußische Provinz Schleswig-Holstein, die Freie Stadt Hamburg, das Herzogtum Lauenburg und das Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin, im Osten an die preußische Provinz Sachsen und das Herzogtum Braunschweig, im Süden und Südwesten an die preußischen Provinzen Sachsen, Hessen-Nassau und Westfalen, das Fürstentum Lippe-Detmold, den Pyrmonter Landesteil des Fürstentums Waldeck sowie das Fürstentum Schaumburg-Lippe und im Westen an die Niederlande. Zur Provinz Hannover gehören zudem die Nordsee-Inseln Spiekeroog, Langeoog, Baltrum, Norderney, Juist und Borkum sowie die innerhalb des Herzogtums Braunschweig befindliche Exklave Bodenwerder und das von Braunschweig, Lippe-Detmold, Pyrmont und der preußischen Provinz Westfalen umgebene Gebiet Polle. Unter gemeinsamer Verwaltung von Braunschweig und Preußen steht die "Kommunion-Unterharz", die gemeinsame Rechte an Bergwerken und Hütten beinhaltet. Innerhalb der preußischen Provinz Hannover befinden sich die Braunschweiger Enklaven Thedinghausen, Ölsburg, Bodenburg und Ostharingen sowie die Hamburger Enklaven Moorburg und Gudendorf. Hauptstadt und Sitz des Oberpräsidenten ist Hannover.

 

Geographie/Topographie

Für die preußische Provinz Hannover wird 1867 eine Fläche von 699 Quadratmeilen angegeben. Der GIS-Wert beträgt 38.748km². Der Großteil der Provinz Hannover gehört zur norddeutschen Tiefebene und besteht überwiegend aus flachem Land, Sandhügeln, Heide und Mooren sowie Marschgebieten an der Nordseeküste, der Elbe und der Weser. Nur die südlichen Gegenden sind gebirgig. Dort ist das Hauptgebirge der Harz, mit dem 926m hohen Bruchberg als höchster Erhebung. Der Osnabrücker Landesteil im Westen wird vom Teutoburger Wald und dem Wiehengebirge durchzogen. Dort ist die höchste Erhebung der Dörenberg nördlich von Iburg mit 356m.
Die drei größten Flüsse der Provinz sind die Ems im Westen, die Weser in der Mitte und die Elbe an der östlichen Grenze. Nennenswert sind zudem die Hunte, die Leine und die Aller, die alle der Weser zufließen. Größere Binnenseen sind der Dümmersee an der Grenze zu Oldenburg und das an Schaumburg-Lippe angrenzende Steinhuder Meer.
Das Klima ist im Harzgebiet rau, in der Ebene eher mild und an der Küste sowie in den Marschgebieten und Mooren feucht.

 

Geschichte und Verwaltungsentwicklung

Nachdem sich das Königreich Hannover 1866 im Deutschen Krieg auf die Seite Österreichs gestellt hatte, wurde es trotz der siegreichen Schlacht von Langensalza am 27. Juni 1866 von preußischen Truppen besetzt und mit dem Besitzergreifungspatent vom 3. Oktober 1866 von Preußen annektiert. Die neugegründete Provinz Hannover entspricht in territorialer und verwaltungstechnischer Hinsicht dem Königreich Hannover. Die Provinz wird zunächst von einem Generalgouverneur regiert, der seine Befugnisse am 15. September 1867 an den Oberpräsidenten mit Sitz in Hannover übergibt. Nach der preußischen Annexion bildet sich als politische Partei die Deutsch-Hannoversche Partei (DHP), auch Welfenpartei genannt, die für die Neubildung des Landes Hannover und eine Rehabilitierung des welfischen Königshauses eintritt. Als Regionalpartei ist die Welfenpartei während der Kaiserzeit in jedem Reichstag vertreten. Die Provinz Hannover gliedert sich in die Landdrosteien Hannover, Lüneburg, Stade, Aurich, Osnabrück und Hildesheim sowie die bis 1867/68 bestehende Berghauptmannschaft Clausthal. Ab 1885 werden die Landdrosteien wie überall in Preußen als Regierungsbezirke bezeichnet. Das seit 1853 von der preußischen Admiralität verwaltete Jadegebiet wird mit Wirkung zum 1. April 1873 der Provinz Hannover angegliedert.1875 erhält die Provinz Hannover von Braunschweig einen Teil der bislang gemeinsam verwalteten "Kommunion-Unterharz".

 

Bevölkerung/Wirtschaft/Verkehr

Im Jahr 1867 liegt die Einwohnerzahl der Provinz Hannover bei 1.939.385. Bis 1905 steigert sie sich um 42% auf 2.759.544.

Die wichtigsten Wirtschaftszweige der Provinz Hannover sind Landwirtschaft, Viehzucht, Bergbau und Schifffahrt. In der Landwirtschaft liegt der Schwerpunkt auf Getreide-, Raps und Zuckerrübenanbau sowie auf verschiedenen Gemüse- und Obstarten wie z.B. Kirschen im Alten Land, Preiselbeeren im Harz und Heidelbeeren in der Lüneburger Heide. Nach der Zählung von 1900 gibt es in der Provinz Hannover 243.861 Pferde, 1.115.022 Rinder, 824.888 Schafe, 1.556.917 Schweine, 232.952 Ziegen und 218.726 Bienenstöcke. Die Pferdezucht wird durch das Landgestüt in Celle unterstützt. Die Rinderzucht ist im Regierungsbezirk Aurich herausragend. Bedeutend ist auch der Küsten- und Hochseefischfang an der Nordsee.
Hinsichtlich des Bergbaus finden sich im Harz Silber-, Blei-, Eisen- und Kupfererze. Stein- und Braunkohlen werden in der Gegend von Osnabrück, am Deister und Osterwald abgebaut. Salinen gibt es in Egestorfshall und Neuhall bei Hannover sowie in Lüneburg. Ein Distrikt für Erdöl erstreckt sich südlich von Celle zwischen den Dörfern Wietze, Oberg, Hänigsen und Klein-Eddesse hin und liefert 1904 rund 70% des Petroleums im Deutschen Reich. Der Steinkohlenabbau liegt 1867 bei 322.874t und erreicht mit 654.162t im Jahre 1897 den Höchstwert. 1850 werden 247.383t Eisenerz abgebaut, 1905 liegt der Abbau mit 1.029.810t bei mehr als dem vierfachen Wert.
In der Textilindustrie sind hervorzuheben die fabrikmäßige Leineweberei bei Osnabrück und Hildesheim, Bleicherei, Tuchfabrikation und Wollweberei im südlichen Bergland um Einbeck, Göttingen und Hameln sowie die Baumwollindustrie mit einigen großen Spinnereien und Webereien in Hannover und Linden. Hochöfen zur Verarbeitung von Roheisen gibt es im Harz und bei Osnabrück, Eisengießereien und Maschinenfabriken vornehmlich in Hannover, Linden, Osnabrück, Hameln, Geestemünde, Harburg und Osterode. Die Hanomag (Hannoversche Maschinenbau-Aktiengesellschaft) in Linden zählt zu den bedeutendsten Lokomotivfabriken in Deutschland. Werften finden sich neben den ostfriesischen Hafenstädten in Papenburg, Geestemünde und Harburg. Das Hannoveraner Familienunternehmen Bahlsen erlangt mit ihren nach dem Philosophen Gottfried Wilhelm Leibnitz benannten Keksen weltweite Berühmtheit. Ab 1878 expandiert die ebenfalls in Hannover angesiedelte Farben- und Tintenfabrik Pelikan nach Österreich-Ungarn und erschließt die Märkte in Südeuropa und auf dem Balkan. Der gebürtige Hannoveraner Emil Berliner (1851-1929) erfindet 1887 die Schallplatte und gründet mit seinem Bruder in Hannover die Deutsche Grammophon Gesellschaft.Wichtige Handelsplätz sind neben Hannover die Häfen Harburg, Emden und Geestemünde. Der Überseehandel wird hauptsächlich über Bremen und seinen Hafenort Bremerhaven abgewickelt.

Die wichtigsten Eisenbahnlinien der Provinz sind Berlin-Bremen-Emden, Berlin-Amsterdam über Hannover und Osnabrück, Berlin-Köln über Hannover und über Kreiensen, Hannover-Altenbeken, Berlin-Frankfurt/Main über Kreiensen, Bremen und Hamburg nach Frankfurt/Main, Venlo-Hamburg und die Linie von Emden ins Ruhrgebiet. Die natürlichen Schifffahrtswege Ems, Weser und Elbe werden durch bedeutende Kanalbauten wie den 1899 fertiggestellten Dortmund-Emskanal und den 1911 begonnenen Mittellandkanal ergänzt. Die wichtigsten Häfen sind Emden, Harburg und Geestemünde. Ab 1871 wird Wilhelmshaven zum Hauptkriegshafen des Deutschen Reichs ausgebaut.

 

Kultur und Bildung

Die Provinz Hannover verfügt mit der 1737 gegründeten Georg-August-Universität in Göttingen über eine Universität. 1879 zieht die Polytechnische Hochschule in Hannover in das ehemalige Welfenschloss ein und erhält die amtliche Bezeichnung "Königlich Technische Hochschule". Zudem gibt es um 1900 eine Forstakademie in Münden, eine Bergakademie in Clausthal, eine Kriegsschule und eine Tierarzneischule in Hannover sowie 26 Gymnasien, drei Progymnasien, zehn Realgymnasien, vier Realprogymnasien, eine Oberrealschule, 14 Realschulen, eine Landwirtschaftsschule, elf Schullehrerseminare, eine jüdische Lehrerbildungsanstalt, drei Präparandenanstalten sowie mehrere Navigations- und Gewerbeschulen.
Das kulturelle Leben der Provinz konzentriert sich auf die Hauptstadt Hannover und die Universitätsstadt Göttingen. In Hannover erlangt insbesondere das königliche Hoftheater über die Provinz hinaus Berühmtheit. 1886 wird in Hannover das Museum der Provinz Hannover eingerichtet. Es übernimmt die Sammlungen des 1852 von verschiedenen Vereinen gegründeten "Museum für Kunst und Wissenschaft" und zieht 1902 in das heutige Museumsgebäude am Maschpark um. Der nach Plänen des Oldenburger Hofbaumeisters Gerhard Schnittger errichtete klassizistische Neubau des Göttinger Stadttheaters wird 1890 mit Schillers "Wilhelm Tell" eröffnet.

 

Territoriale Entwicklung ab 1914/Kulturerbe

1922 schließt sich der Pyrmonter Landesteil des Fürstentums Waldeck Preußen an und wird der Provinz Hannover angegliedert. Per preußischer Verordnung vom 1. August 1932 wird die bis dahin zur Provinz Hessen-Nassau gehörende Grafschaft Schaumburg der Provinz Hannover angegliedert. Im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes von 1937 tritt Hannover die Hafenstadt Harburg zusammen mit 14 kleineren Gemeinden an Hamburg ab. Im Gegenzug wird das zuvor zu Hamburg gehörende Amt Ritzebüttel mit Cuxhaven an Hannover angeschlossen. Das Jadegebiet um die Stadt Wilhelmshaven geht an das Land Oldenburg.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wird am 23. August 1946 das in der Britischen Besatzungszone liegende Land Hannover wiedererrichtet, jedoch bereits am 1. November 1946 zusammen mit Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg-Lippe dem neugegründeten Land Niedersachsen angegliedert, dessen Hauptstadt die Stadt Hannover wird. In der Nachkriegszeit etabliert sich das erst in preußischer Zeit industrialisierte Hannover als internationaler Messestandort. Die seit 1947 jährlich stattfindende Hannover Messe ist die größte Industriemesse der Welt. Das ehemalige Hannoversche Provinzialmuseum präsentiert als Niedersächsisches Landesmuseum neben einer Gemälde- und Skulpturensammlung Exponate der Ur- und Frühgeschichte sowie der Natur- und Völkerkunde.

Verwendete Literatur